Nach jahrelangen Diskussionen in Wissenschaft und Praxis über ein Unternehmensstrafrecht hatte die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, das Sanktionsrecht für Unternehmen neu zu regeln. Nach einem inoffiziellen Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ der Justizministerin Christine Lambrecht von August 2019 veröffentlichte das Bundesjustizministerium am 22. April 2020 den Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“, gefolgt von einem Regierungsentwurf vom 16. Juni 2020 mit nur minimalen Änderungen. Mit der Namensänderung durch Referenten- und Regierungsentwurf sind zwar auch eine Reihe von Änderungen im Vergleich zum Entwurf von 2019 einhergegangen. Insgesamt bleibt es aber dabei, dass der Entwurf bedeutende konzeptionelle und umfangreiche Änderungen am bestehenden System der Sanktionierung von Unternehmen vorsieht.
Im Einzelnen sieht der Regierungsentwurf Folgendes vor:
Das Unternehmenssanktionsrecht soll in einem eigenen Gesetz, dem Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz – VerSanG), neu aufgesetzt werden, statt wie bisher im Ordnungswidrigkeitengesetz angesiedelt zu sein. Ein echtes Unternehmensstrafrecht soll dabei nach wie vor nicht entstehen, sondern Verbände sollen für Straftaten haftbar gemacht werden, „durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte“ (§ 1 VerSanG-E). Geregelt werden soll aber – abweichend vom Entwurf von 2019 – nur „die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist“ (§ 1 VerSanG-E). Auch soll hoheitliches Handeln vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sein (§ 5 Nr. 3 VerSanG-E). Unter bestimmten Voraussetzungen sollen auch Auslandstaten als Grundlage für die Sanktionierung berücksichtigt werden (§ 2 Abs. 2 VerSanG-E).
Die geplanten Änderungen im Hinblick auf das geltende Recht betreffen zunächst den Sanktionskatalog:
Anders als der Entwurf von 2019 sieht der Referentenentwurf allerdings nicht mehr vor, dass im Extremfall Unternehmen aufgelöst werden können. Zu diesem Punkt hatte es innerhalb der Koalition laut Presseberichten erhebliche Diskussionen gegeben.
Ferner soll das Verfahrensrecht grundlegend neu geregelt werden:
Das geplante Gesetz soll auch den Umgang mit unternehmensinternen Ermittlungen (internal investigations) regeln und für diesen Bereich nach der sog. Jones Day-Entscheidung des BVerfG (dazu hier mehr) „Rechtssicherheit“ für Unternehmen bringen:
Im Laufe der Ressortabstimmung wurde der Entwurf bereits in einigen Teilen modifiziert. Insbesondere ist die Verbandsauflösung nicht mehr als ultima ratio vorgesehen und die Milderung der Verbandssanktion bei verbandsinternen Untersuchungen wurde als Soll- statt als Kann-Vorschrift ausgestaltet.
Anfang September 2020 veröffentlichten der Rechts- und Wirtschaftsausschuss des Bundesrates ihre gemeinsamen Beschlussempfehlungen. Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf des VerSanG in seiner Sitzung vom 18. September 2020 in weiten Teilen bestätigt (Stellungnahme). Er ist nicht der Ausschussempfehlung gefolgt, den Gesetzentwurf insgesamt abzulehnen. Insofern steht das VerSanG als solches wohl nicht mehr zur Disposition und perspektivisch zeichnet sich seine Verabschiedung ab. Der Bundesrat hat allerdings in mancherlei Hinsicht kritisch Stellung genommen und regt etliche, darunter durchaus bedeutsame Änderungen des Gesetzes an.
Die Bundesregierung lehnte in einer am 21. Oktober 2020 als Vorabfassung veröffentlichten Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates dessen Vorschläge in weiten Teilen ab. Sie hält insbesondere an der Einführung des Legalitätsprinzips fest, da zwar ein Mehraufwand für die Justiz, jedoch keine Überlastung zu erwarten sei. Die Bundesregierung hat allerdings zugesagt, eine mögliche weitere Ausdifferenzierung der Einstellungsmöglichkeiten prüfen zu wollen. Ebenso will die Bundesregierung eine nähere Konkretisierung der Compliance-Vorgaben für Unternehmen sowie der Kriterien für die Sanktionsbemessung prüfen. Ferner sollen auch eine nähere Ausgestaltung der Kriterien für die öffentliche Bekanntmachung von Verurteilungen sowie die Einführung von Regelungen zur Rechtshilfe geprüft werden.
Dessen ungeachtet hat die Bundesregierung den nunmehr von ihr beschlossenen Entwurf des Gesetzes mit lediglich marginalen Änderungen dem Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung übermittelt.
Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, welchen Zeitraum das Gesetzgebungsverfahren noch in Anspruch nehmen wird. Hinzu kommt, dass das VerSanG voraussichtlich frühestens erst etwa zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten wird. Gleichwohl sind Unternehmen – angesichts der sich nun abzeichnenden Verabschiedung des Gesetzes – gut beraten, den weiteren Prozess genau zu beobachten und entsprechende Compliance-Maßnahmen bereits jetzt ins Auge zu fassen, um sich bestmöglich auf die neue Rechtslage vorzubereiten.
Englischsprachige Informationen zu dem Gesetzesvorhaben finden sich im Blog „BusinessCrimeLinks“ hier und hier.
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