BAG zur Verpflichtung von Arbeitgebern zur Arbeitszeiterfassung – Das Wichtigste in Kürze

Das Bundesarbeitsgericht („BAG“) hat am 2. Dezember 2022 die Entscheidungsgründe zu seinem „Arbeitszeiterfassungs-Beschluss“ (BAG, Beschluss vom 13.09.2022, Az.: 1 ABR 22/21) veröffentlicht. Zumindest einige der Fragen, die nach der Pressemitteilung des BAG zu der Entscheidung im September offen geblieben waren, lassen sich nach Durchsicht der Entscheidungsgründe beantworten.

Die folgenden Q&A bieten einen Überblick über die Kernaussagen des BAG und die wichtigsten Konsequenzen für die Praxis.

Wie war die Rechtslage bisher?

Eine Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung bestand bislang nur in Ausnahmefällen sowie für bestimmte Branchen (vgl. § 17 Abs. 1 MiLoG, § 17c Abs. 1 i.V.m. § 3a AÜG). Den Großteil der Arbeitgeber traf bisher nur eine Verpflichtung zur Dokumentation der Arbeitszeiten bei Überschreiten der täglichen Höchstarbeitszeit von acht Stunden sowie bei Sonntags- und Feiertagsarbeit (vgl. § 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG). Die entsprechenden Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren.

Dagegen ging die Praxis bislang davon aus, dass es keine gesetzliche Verpflichtung gibt, generell die geleistete Arbeitszeit der Mitarbeiter systematisch zu erfassen. In einem Urteil aus dem Jahr 2019 hatte der Europäische Gerichtshof („EuGH“) (EuGH, Urteil vom 14.5.2019 – C-55/18) zwar geurteilt, dass die Mitgliedstatten verpflichtet seien, Arbeitgebern zur Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie aufzugeben „ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung“ einzurichten; dieses Urteil blieb in Deutschland jedoch zunächst weitgehend folgenlos. Nach ganz überwiegender Auffassung folgte aus dem EuGH-Urteil keine direkte Verpflichtung der Arbeitgeber, sämtliche Arbeitszeiten (also nicht nur Überstunden sowie Sonntags- und Feiertagsarbeit) zu erfassen. Vielmehr wurde angenommen, dass der deutsche Gesetzgeber in der Pflicht sei, das EuGH-Urteil umzusetzen und eine Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung näher auszugestalten.

Das BAG ist nun dem Gesetzgeber zuvorgekommen, indem es geurteilt hat, dass Arbeitgeber schon jetzt, d.h. ohne Tätigwerden des Gesetzgebers, verpflichtet seien, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.

Welche Zeiten sind laut BAG konkret zu erfassen?

Das BAG geht in seinem Beschluss davon aus, dass bereits kraft Gesetzes eine generelle Verpflichtung von Arbeitgebern zur Arbeitszeiterfassung ihrer Arbeitnehmer bestehe. Es gibt insofern keine Umsetzungsfrist. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung folgert das BAG dabei nicht aus den arbeitszeitrechtlichen Spezialregelungen, sondern aus dem allgemeinen Arbeitsschutz: Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG sind Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG haben Arbeitgeber insofern für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Dies umfasst nach Ansicht des BAG im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung die Verpflichtung von Arbeitgebern, ein System zur Erfassung der von ihren Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit vorzusehen, welches Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden erfasst. Damit dürften über den jeweiligen Beginn und Ende der Arbeitszeit zumindest indirekt auch die Ruhepausen zu dokumentieren sein, auch wenn das BAG diese nicht explizit aufführt. Ohne Dokumentation der Ruhepausen wäre nämlich keine Dokumentation der geleisteten täglichen Arbeitszeit gegeben.

In welcher Form hat die Arbeitszeiterfassung zu erfolgen?

Es besteht ein Spielraum für Arbeitgeber, wie die Arbeitszeiterfassung konkret durchgeführt wird. Die Arbeitszeiterfassung hat nach Ansicht des BAG nicht zwingend elektronisch zu erfolgen. Vielmehr können beispielsweise – je nach Tätigkeit und Unternehmen – Aufzeichnungen in Papierform genügen.

Unter Berücksichtigung der EuGH Entscheidung aus 2019 dürfte jede Form der Zeiterfassung ausreichen, die allerdings mittels eines „objektiven und zuverlässigen“ Systems erfolgen muss. Ferner verlangt das BAG, dass bei der Auswahl und der näheren Ausgestaltung des Arbeitszeiterfassungssystems die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden darf. Die Kostenfrage allein wird daher für Arbeitgeber kein taugliches Entscheidungskriterium bei der Frage der Auswahl des individuellen Arbeitszeiterfassungssystems sein.

Gilt die Zeiterfassungspflicht für alle Arbeitnehmergruppen?

Die Pflicht zur Zeiterfassung gilt nach dem BAG auf alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Ob die Zeiterfassungspflicht auch leitende Angestellte betrifft, geht nach unserer Lesart aus den Entscheidungsgründen nicht eindeutig hervor, auch wenn die Ausführungen des BAG an der entsprechenden Stelle durchaus so verstehen kann, dass Leitende nicht erfasst sind. 

Diskutiert wird in dem Zusammenhang etwa bereits, ob die Aussage des BAG, wonach weitere – nach Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG grundsätzlich mögliche – Sonderregelungen für Arbeitnehmer vom deutschen Gesetzgeber (bislang) nicht getroffen wurden, lediglich als Hinweis an den Gesetzgeber zu verstehen ist. Für dieses Verständnis spricht nach den wörtlichen Ausführungen des BAG vieles. Vertreten wird aber auch, dass das BAG bereits heute Ausnahmen von der Aufzeichnungspflicht für die in Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie genannten Personengruppen für möglich hält. Dies würde z.B. nicht nur leitende Angestellte, sondern auch sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis betreffen. Bis zu einer Klarstellung des Gesetzgebers besteht bei dieser Frage Rechtsunsicherheit. 

Reicht es aus, ein Zeiterfassungssystem zur Selbstnutzung zur Verfügung zu stellen?

Hier ist zu unterscheiden: Das BAG erkennt zunächst an, dass der Arbeitgeber die Aufzeichnung der Arbeitszeiten an die Arbeitnehmer delegieren kann. Zugleich nennt das BAG aber Anforderungen an eine Delegation. So soll es nicht ausreichen, den Arbeitnehmern ein Arbeitszeiterfassungssystem lediglich zur freigestellten Nutzung zur Verfügung zu stellen, sondern es muss von diesem System tatsächlich Gebrauch gemacht werden; dies wird der Arbeitgeber zu kontrollieren haben, beispielsweise durch stichpunktartige Routinekontrollen. Ferner sollten Arbeitgeber, wenn sie von der Delegationsmöglichkeit Gebrauch machen wollen, die Arbeitnehmer explizit anweisen, ihre Arbeitszeiten ordnungsgemäß zu erfassen.

Welche Rechte stehen dem Betriebsrat zu?

Besteht ein Betriebsrat, gilt nach dem BAG, dass diesem kein Initiativrecht hinsichtlich des „Ob“ der Einführung des Zeiterfassungssystems zukommt. Dies folgt aus der Annahme des BAG, dass bereits kraft Gesetzes eine Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung besteht und somit wegen des Gesetzesvorbehalts in § 87 Abs. 1 BetrVG ein Initiativrecht hinsichtlich des „Ob“ ausscheidet.

Anders ist dies wohl für die Ausgestaltung des Arbeitszeiterfassungssystems zu sehen, also für das „Wie“ der Erfassung. Diese unterliegt als Maßnahme des Arbeitsschutzes der Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Für der Mitbestimmung unterliegende Betriebe ist eine einseitige Einführung respektive Änderung der bisherigen Arbeitszeiterfassungspraxis ohne Beteiligung des Betriebsrats daher nicht möglich.

Ist Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich?

Dies ist in erster Linie eine Definitionsfrage und hängt davon ab, wie Vertrauensarbeitszeit im jeweiligen Unternehmen verstanden wird. Klar ist, dass die Zeiterfassungspflicht grundsätzlich auf alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer iSd. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG Anwendung findet. Beschäftigtengruppen, die sich bislang die Einteilung ihrer Arbeitszeiten frei einteilen konnten, werden hiervon ebenfalls erfasst (wohl mit Ausnahme der leitenden Angestellten, siehe oben). Einem Modell, in dem komplette Arbeitnehmergruppen ihre Arbeitszeiten generell nicht erfassen müssen, erklärt das BAG damit eine Absage.

Umgekehrt heißt dies aber nicht, dass ein selbstbestimmtes Arbeiten mit freier Planung der Zeiteinteilung künftig nicht mehr möglich ist, sondern nur, dass auch zeitsouverän arbeitende Beschäftigte zukünftig ihre Arbeitszeiten im Einklang mit den Vorgaben des BAG zu erfassen haben und der Arbeitgeber diese Zeiten auch kontrollieren muss. Verstöße gegen die Höchstarbeitszeiten nach § 3 Abs. 1 ArbZG oder die ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit gemäß § 5 Abs. 1 ArbZG waren schon bislang grundsätzlich unzulässig und unterlagen außerdem der Aufzeichnungspflicht nach § 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG – diese Problematik bestand bei der Vertrauensarbeitszeit also schon zuvor.

Welche Sanktionen drohen Arbeitgebern?

Ein Verstoß gegen die Arbeitszeiterfassungspflicht ist nach gegenwärtiger Rechtslage nicht unmittelbar gesetzlich sanktioniert, sondern erst wenn der Arbeitgeber trotz behördlicher Aufforderung keine Anpassung vornimmt.

Bei Verstößen gegen das ArbZG kann ein Bußgeld von bis zu 30.000 EUR verhängt werden. Theoretisch kann dieses Maximalbußgeld sogar mehrfach verhängt werden (z.B. auf der Grundlage der Anzahl der betroffenen Mitarbeiter, der Anzahl der Vorfälle, etc.). Nach unserer Auffassung stellt das Fehlen einer vollständige Zeiterfassung (ab der ersten Arbeitsstunde) aber keinen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz dar. Für eine solche Sanktion fehlt es an einer expliziten gesetzlichen Vorgabe im ArbZG. Auch das BAG hat, wie schon erwähnt, die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ausdrücklich nicht aus Vorschriften des ArbZG gefolgert.

Ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG, die Norm, in die das BAG eine Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung hineinliest, ist nicht bußgeldbewehrt (vgl. § 25 ArbSchG). Gemäß § 21 ArbSchG ist die Überwachung des Arbeitsschutzes eine staatliche Aufgabe, weshalb die zuständigen Landesbehörden jährlich eine bestimmte Anzahl von Routinebesichtigungen und -überprüfungen in Betrieben durchführen müssen. Bei diesen Überprüfungen wird die Einhaltung der Vorschriften des ArbSchG geprüft und somit in Zukunft wohl auch das Bestehen eines Zeiterfassungssystems.

Findet sich bei der Überprüfung ein Verstoß gegen die Verpflichtungen aus dem ArbSchG, so kann die Behörde im Einzelfall anordnen, welche Maßnahmen der Arbeitgeber und die verantwortlichen Personen oder die Beschäftigten zur Erfüllung der Pflichten zu treffen haben. Erst wenn die zuständige Behörde die Einführung des Arbeitszeitsystems im Einzelfall anordnet und der Arbeitgeber einer vollziehbaren Anordnung zuwiderhandelt, kann ein Bußgeld verhängt werden, welches bis zu 30.000 EUR pro Verstoß betragen kann.

Welche Reaktion des Gesetzgebers ist zu erwarten?

Dass eine gesetzliche Regelung der Thematik kommen soll – und zwar zunächst in Form eines Referentenentwurfs voraussichtlich im ersten Quartal 2023 – hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales („BMAS“) offiziell verlauten lassen. Das ist auch dringend nötig, zumal es gegen eine derart weitreichende Rechtsfortbildung durch das BAG durchaus Bedenken gibt. Zu hoffen bleibt, dass sich der angekündigte Referentenentwurf, anders als etwa die Anpassung des Nachweisgesetzes, wirklich wie vom BMAS angekündigt als „praxistauglicher Vorschlag für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz“ herausstellen wird. Dabei ist die Politik dringend gefordert, sich angesichts der Anforderungen an modernes Arbeiten und den nicht zuletzt auch von vielen Arbeitnehmern etwa zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie eingeforderten zeitlichen Freiräumen grundlegend mit dem in dieser Form nicht mehr zeitgemäßen Arbeitszeitrecht zu beschäftigen und Flexibilisierungsspielräume, welche das europäische Recht bietet, auch zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen für die hiesige Wirtschaft zu nutzen. Insofern sollte die Thematik der Zeiterfassung aus unserer Sicht in eine Gesamtnovelle des Arbeitszeitrechts eingebettet werden.

Was sollten Arbeitgeber bis zu einer zu erwartenden gesetzlichen Regelung tun?

Für Arbeitgeber ist die momentane Rechtslage schwierig, weil es einerseits die grundsätzliche Zeiterfassungspflicht in der Lesart des BAG gibt und andererseits eine ausführliche gesetzliche Regelung in überschaubarer Zeit ins Haus stehen dürfte, die voraussichtlich weitere Klärung zur Geltungsreichweite und zur Ausgestaltung von Arbeitszeiterfassungssystemen bringen wird. Es besteht damit einerseits das Risiko, dass bei übereilter Umsetzung ggf. der mühsam ausgehandelte Kompromiss mit dem Betriebsrat oder der abgeschlossene Vertrag mit dem Service-Provider über das Arbeitszeiterfassungssystem schon nach wenigen Monaten abermals im Hinblick auf die gesetzlichen Regelungen neu aufgemacht werden muss. Andererseits sind die Vorgaben des BAG insofern klar, als dass die geleistete Arbeitszeit erfasst werden sollte.

In einem ersten Schritt sollten Arbeitgeber daher spätestens jetzt ihre internen Prozesse und Systeme zur Arbeitszeit(-erfassung) evaluieren und mit den Vorgaben des BAG abgleichen. Dazu zählt auch eine Bestandsaufnahme, wie die generellen Vorgaben aus dem ArbZG im Hinblick auf die Ruhe-, Pausen- und Höchstarbeitszeiten sowie Arbeitsverbote an Sonn- und Feiertagen im Unternehmen eingehalten werden bzw. wo Abweichungen im Hinblick auf die gesetzlichen Spielräume begründbar bzw. gestaltbar sind. Dabei geht es auch um das Erarbeiten von Konzepten, wie mit ggf. identifizierten Risiken angesichts einer umfassenden Arbeitszeiterfassung umgegangen werden soll. Klar ist auch, dass sich ein umfassendes Zeiterfassungssystem nicht von heute auf morgen schaffen lässt, da für die Ausgestaltung z.B. umfangreiche datenschutzrechtliche Klärungen notwendig sind. Eventuell bieten sich auch Interimslösungen bis zu einer gesetzlichen Regelung an.