DiRUG – Digitalisierung des Gesellschaftsrechts mit Luft nach oben?!
Am 24. November 2021 legten die Ampelparteien ihren Koalitionsvertrag vor und setzten damit das Thema Digitalisierung des Gesellschaftsrechts einmal mehr auf die Tagesordnung. Der Koalitionsvertrag enthält insbesondere Vorhaben, die über die Regelungen des (erst im August 2021 verkündeten) Gesetzes zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) hinausgehen. Das ist gerade vor dem Hintergrund der weitergehenden Neuerungen im Regelwerk unseres europäischen Nachbarn Österreich nicht überraschend. Doch kann und sollte der deutsche Gesetzgeber mit Österreichs Entwicklung Schritt halten?
Das DiRUG gab dem deutschen Gesellschaftsrecht zwar einen Digitalisierungsschub, etwa indem es zukünftig die Online-Gründung der GmbH und (im gewissen Maße) Beglaubigungen per Videokommunikation ermöglicht. Der Status Quo in Deutschland (auch unter Berücksichtigung der zukünftigen Neuerungen durch das DiRUG) ist aber dennoch eher ernüchternd. Gerade im Hinblick auf die Online-Gründung der GmbH implementierte der deutsche Gesetzgeber lediglich die Mindestvorgaben der europäischen Richtlinie; nicht umfasst sind davon etwa Sachgründungen, AG-/KGaA Gründungen und anschließende beurkundungsbedürftige Vorgänge wie beispielsweise Satzungsänderungen. Hier setzen die Ampelparteien richtigerweise an, wenn Sie die „Digitalisierung des Gesellschaftsrechts vorantreiben“ wollen und hierfür „Beurkundungen per Videokommunikation auch bei Gründungen mit Sacheinlage und weiteren Beschlüssen“ erlauben möchten.
So begrüßenswert diese Bemühungen bereits sind, ist unser Nachbar schon einen Schritt weiter. Als Antwort auf die Covid-19 Pandemie eröffnete Österreich (im Gegensatz zu Deutschland) mit Kundmachung des 4. COVID-19 Gesetzes am 4. April 2020 für nahezu sämtliche Beurkundungsakte die Möglichkeit, den digitalen Weg zu beschreiten. Waren diese Regelungen zunächst bis zum 31. Dezember 2020 befristet, erhob der österreichische Gesetzgeber die Übergangsregelung am 23. Dezember 2020 – gerade vor dem Hintergrund positiver praktischer Erfahrungen – zum Dauerrecht. Seitdem sind in Österreich digitale notarielle Protokolle (etwa von Gesellschafterversammlungen), digitale Notariatsakte zur Aufnahme von Rechtserklärungen und Rechtsgeschäften sowie digitale Beglaubigungen grundsätzlich dauerhaft möglich.
In Deutschland wiederum wird die Digitalisierung gerade im Hinblick auf notarielle Amtshandlungen teils noch skeptisch beäugt und an bewährten Abläufen festgehalten. Zwar ist richtig, dass zuweilen das altbewährte persönliche Erscheinen beim Notar und die persönliche (Letzt-)Verhandlung vor diesem – auch mit Blick auf die notarielle Beratung – hilfreich und in besonderen Fällen auch geboten sein können. Allerdings kann eine weitergehende Digitalisierung des Gesellschaftsrechts diese Möglichkeit erhalten, gleichzeitig aber den Beteiligten ermöglichen, die Vorzüge der Video-Kommunikation zu nutzen, wenn diese die Vorteile eines persönlichen Erscheinens überwiegen. Das gilt beispielsweise für den (in der Praxis häufigen) Fall, dass die Zustimmung zu oder Ablehnung von einer bestimmten Satzungsänderung bereits vor dem Beschluss feststeht und der persönliche Notarbesuch der Beteiligten (und ihrer Berater) lediglich Formsache ist und im Wesentlichen Reise- und Opportunitätskosten verursacht.
Vor diesem Hintergrund tut die neue Regierung gut daran, auf das vorhandene DiRUG aufzubauen und das Potenzial zu nutzen, das dieses Gesetz (gerade mit Blick auf die Erfahrung in Österreich) zweifelsfrei lässt. Altbewährte Konzepte sollten dabei zwar nicht vorschnell aufgegeben werden; allerdings ist Mut gefragt, zusätzliche digitale Optionen zu bieten und den Beteiligten die Verantwortung zu überlassen, sich im konkreten Fall für oder gegen die Nutzung solcher Möglichkeiten zu entscheiden. Der Koalitionsvertrag der Ampelparteien und die Entwicklung in Österreich machen insoweit Hoffnung auf innovative und spannende Zeiten.
Mario Pofahl ist Partner und Dr. Maximilian Mann ist Associate bei Linklaters LLP