Der befürchtete Paukenschlag in der Leiharbeitsbranche bleibt aus!

BAG Urteil vom 14. September 2022 – 4 AZR 83/21 (Parallelentscheidung: 4 AZR 26/21)

Die Verlängerung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer gemäß § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG durch Tarifvertrag beim Entleiher bleibt nach Auffassung des Vierten Senats des BAG auch im Hinblick auf Leiharbeitnehmer zulässig, die nicht Gewerkschaftsmitglied sind.

Worum geht es in der Entscheidung?

Der Kläger ist ein Leiharbeitnehmer, welcher bei der beklagten Arbeitgeberin (Entleiher) ab Mai 2017 für 24 Monate eingesetzt worden war. Diese ist Mitglied im Arbeitgeberverband Südwestmetall und an die mit der IG Metall abgeschlossenen Tarifverträge – einschließlich des Tarifvertrags „Leih- / Zeitarbeit“ – gebunden. Der Tarifvertrag „Leih- / Zeitarbeit“ sieht eine (vom Gesetz grds. erlaubte) Verlängerung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten (§ 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG) auf maximal 48 Monate vor. Der Kläger begehrte mit seiner Klage Feststellung, dass zwischen ihm und der Beklagten aufgrund der Überschreitung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten kraft Gesetzes (§§ 9 Abs. 1 Nr. 1b, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG) ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Hierbei stellte sich der Kläger auf den Standpunkt, der Tarifvertrag „Leih- / Zeitarbeit“ gelte für ihn nicht, da er nicht Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft sei. Zudem sei § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG, auf welchen der in Rede stehende Tarifvertrag fußt, verfassungswidrig und eine Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten überschreite den Rahmen des Zulässigen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. In der Parallelsache (4 AZR 26/21) hatte die Vierte Kammer des LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 2. Dezember 2020 – 4 Sa 16/20) der Klage stattgegeben.

Wie hat das BAG entschieden?

Die Revision des Klägers vor dem Vierten Senat blieb ohne Erfolg. Dieser sieht in der Regelungsermächtigung für eine von den 18 Monaten abweichende Höchstüberlassungsdauer in § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG durch Tarifvertrag eine vom Gesetzgeber außerhalb des Tarifvertragsgesetzes vorgesehene Ermächtigung, die es den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche gestattet, auch mit Wirkung für das Verleiherunternehmen und die Leiharbeitnehmer eine abweichende Regelung zu schaffen; auf die Tarifgebundenheit der Leiharbeitnehmer komme es hierbei nicht an. Zudem sei § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG nach Auffassung des Vierten Senats verfassungskonform und auch die Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer auf 48 Monate sei rechtlich nicht zu beanstanden.

Welche Auswirkungen hat die Entscheidung des BAG?

Die Entscheidung des BAG wurde – nicht zuletzt aufgrund des divergierenden, vorinstanzlichen Urteils des LAG Baden-Württemberg in der Parallelsache – von vielen Seiten mit Spannung erwartet. Hätte das BAG hier im Einklang mit dem LAG-Urteil aus der Parallelsache zugunsten des Arbeitgebers entschieden, hätte dieses Urteil branchenübergreifende, erhebliche Auswirkungen gehabt. So hätten nicht nur zahlreiche Unternehmen, in denen Leiharbeitnehmer eingesetzt werden, ihre bisherige Praxis auf den Prüfstand stellen und ggf. ändern müssen, sondern wären auch umfangreichen Compliance- und Regressrisiken ausgesetzt gewesen. Insbesondere hätten dann Leiharbeitnehmer, die im Vertrauen auf die Gültigkeit einer abweichenden tariflichen Höchstüberlassungsdauer länger als 18 Monate beim Entleiher eingesetzt worden wären, rückwirkend zum ersten Einsatztag ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher geltend machen können. Da das BAG die Klage des Arbeitnehmers allerdings letztinstanzlich abgewiesen hat, ändert sich aus Arbeitgebersicht im Ergebnis nichts.

Wie ist die Entscheidung einzuordnen?

Auch wenn die Entscheidungsgründe im Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags noch nicht vorliegen, ist der Tenor des Urteils bereits jetzt zu begrüßen. Dies gilt zum einen im Hinblick darauf, dass der Vierte Senat eine insbesondere aus Arbeitgebersicht dringend notwendige Rechtsklarheit schafft, indem er die Tarifdispositivität des § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG stärkt und dessen Reichweite eindeutig definiert. Erfreulich ist zum anderen, dass der Senat die – vielfach angezweifelte – Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift betont und auch die in der Praxis häufig vorkommende tarifliche Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten als angemessen ansieht. Zahlreiche Arbeitgeber, die Leiharbeitnehmer für länger als 18 Monate auf Grundlage einer entsprechenden tariflichen Regelung beschäftigen oder beschäftigt haben, dürften nach dem klaren Signal aus Erfurt erleichtert aufatmen.