COP26 ist vorbei – was bedeutet das Ergebnis für die deutsche Wirtschaft?

Die 26. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention der
Vereinten Nationen (COP26)
ist am Samstag, den 13. November 2021 nach zweiwöchigen Verhandlungen und mehreren zusätzlichen Erklärungen verschiedener Ländergruppen mit Abschluss einer endgültigen Vereinbarung, dem „Klimapakt von Glasgow“, beendet worden. Einen allgemeinen Überblick über die Ergebnisse der COP26 finden Sie in unserem internationalen Blog Post. Welche Auswirkungen sind für die Wirtschaft in Deutschland zu erwarten?

Bekräftigung des 1,5°C-Ziels, Todesstoß für die Kohle?

Während das Übereinkommen von Paris die Parteien verpflichtet, den globalen Temperaturanstieg auf „deutlich unter 2°C“ über dem vorindustriellen Niveau zu halten und (zusätzlich) „Anstrengungen“ zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5°C zu unternehmen, verlagern die Parteien im Klimapakt von Glasgow nun ausdrücklich den Schwerpunkt auf den 1,5°C-Pfad. Zudem wird anerkannt, dass zur Erreichung dieses Ziels die globalen CO2-Emissionen um 45% gegenüber dem Stand von 2010 und bis zur Mitte des Jahrhunderts auf netto null reduziert werden müssen. Auch wenn die derzeit vorliegenden Klimazusagen aller COP26-Parteien aller Voraussicht nach nicht ausreichen werden, um dieses Ziel zu erreichen (siehe unseren Blog Post), bekräftigen damit zumindest alle Parteien, dass die globale Erwärmung grundsätzlich auf 1,5°C begrenzt werden sollte.

Darüber hinaus haben sich alle Länder darauf geeinigt, ihre aktuellen Emissionsziele für 2030 (so-genannte national festgelegte Beiträge bzw. Nationally Determined Contributions – NDCs) im Jahr 2022 zu überprüfen und zu verschärfen, also früher als im Pariser Abkommen allgemein gefordert (2025).

Die Vertragsparteien werden außerdem aufgefordert, ihre Bemühungen um einen „schrittweisen Abbau“ („phasedown“) der Kohleverstromung und einen „schrittweisen Ausstieg“ („phase-out“) aus ineffizienten Subventionen für fossile Brennstoffe zu beschleunigen. Dies ist das erste Mal, dass fossile Brennstoffe offiziell in einem COP-Abkommen angesprochen werden (wenn auch etwas abgeschwächt im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf, siehe unseren Blog Post).

Welche zusätzlichen Erklärungen hat Deutschland unterzeichnet?

Während der COP26 wurden mehrere zusätzliche Erklärungen von verschiedenen Ländergruppen zu weiteren Themen abgeschlossen, die über den Glasgower Klimapakt hinausgehen. Deutschland hat die meisten, aber nicht alle dieser Erklärungen unterzeichnet. Insbesondere schloss sich Deutschland neben dem „Global Methane Pledge“ (siehe unseren Blog Post) der Globalen Erklärung zum Übergang von der Kohleverstromung zu sauberer Energie (dem sogenannten „Coal Pledge“) an. Darin wird anerkannt, dass die Kohleverstromung die Hauptursache für den globalen Temperaturanstieg ist, und die unterzeichnenden Länder verpflichten sich, in den 2030er Jahren (oder so bald wie möglich danach) in den großen Volkswirtschaften und in den 2040er Jahren (oder so bald wie möglich danach) weltweit den Übergang aus der ungeminderten Kohleverstromung zu erreichen. Zudem unterzeichnete Deutschland die Erklärung über die internationale öffentliche Unterstützung für den Übergang zu sauberer Energie und verpflichtete sich hierdurch, neue direkte öffentliche Förderung für den internationalen fossilen Energiesektor bis Ende 2022 grundsätzlich einzustellen.

Im Gegensatz dazu enthielt sich Deutschland gemeinsam mit den USA, China und den Herstellern Volkswagen und BMW bei der Unterzeichnung der COP26-Erklärung über die Beschleunigung des Übergangs zu 100% emissionsfreien Pkw und leichten Nutzfahrzeugen. In dieser Erklärung kündigen rund 30 Länder sowie Städte und Automobilhersteller (darunter etwa Mercedes-Benz, Ford und General Motors) an, darauf hinzuarbeiten, dass alle Verkäufe von neuen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen weltweit bis 2040 und in den führenden Märkten bis spätestens 2035 emissionsfrei sein werden. Laut Vertretern der Bundesrepublik sei die Nichtunterzeichnung durch Deutschland darauf zurückzuführen, dass aus erneuerbaren Energien gewonnene E-Fuels in der Erklärung nicht als emissionsfrei anerkannt werden.

Müssen die deutschen nationalen Klimaschutzziele überarbeitet werden?

Bereits nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 zum Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) (siehe unseren Newsletter) wurden die deutschen nationalen Klimaschutzziele im August 2021 verschärft und sehen seitdem eine Minderung um mindestens 65% bis 2030 und 88% bis 2040 gegenüber 1990 vor. Bis 2045 soll Netto-Treibhausgasneutralität erreicht werden. Auf EU-Ebene legt das im Juni 2021 in Kraft getretene Europäische Klimagesetz als Klimazwischenziel der Union eine Senkung der Netto-Treibhausgasemissionen innerhalb der EU um mindestens 55% bis 2030 gegenüber 1990 fest. Eine unionsweite Reduktion der Emissionen auf netto null soll bis spätestens 2050 erreicht werden.

Die aktuelle NDC der EU und ihrer Mitgliedstaaten aufgrund des Pariser Übereinkommens wurde im Dezember 2020 vorgelegt und sieht bereits eine inländische Nettoreduktion um mindestens 55% bis 2030 im Vergleich zu 1990 vor (siehe hier).

Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass Deutschland oder die EU ihre Klimaschutzziele infolge des Klimapakts von Glasgow weiter erhöhen werden. Das Bundesumweltministerium betonte, dass die EU ihr Klimaziel für 2030 bereits deutlich angehoben habe (siehe hier), und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erklärte, alle müssten sich ihrer Verantwortung stellen, und verwies auf die aktuellen Klimaziele der Union als deren Beitrag (siehe hier).

Wie sollen die deutschen Klimaschutzziele erreicht werden?

Abgesehen von den eigentlichen Klimaschutzzielen stellt sich für die deutsche Wirtschaft vor allem die Frage, wie diese Ziele letztendlich erreicht werden sollen. Auf EU-Ebene hat die Kommission im Juli 2021 ihr "Fit for 55"-Paket vorgelegt, das verschiedene gesetzgeberische und politische Vorschläge im Hinblick auf das 55%-Minderungsziel bis 2030 enthält, darunter eine Überarbeitung des bestehenden EU-Emissionshandelssystems hin zu einer stärkeren Reduzierung von Emissionen, die Einführung eines neuen Emissionshandelssystems für die im Straßenverkehr und in Gebäuden verwendeten Kraftstoffe (ähnlich dem im Dezember 2019 eingeführten deutschen Brennstoffemissionshandel nach dem BEHG), einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism – CBAM) zur Verhinderung einer Verlagerung von CO2-Emissionen („Carbon Leakage“) sowie verschärfte CO2-Flottengrenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, die letztlich zu einer schrittweisen Abschaffung von Verbrennungsmotoren in der EU bis 2035 führen würden (siehe unsere Fit for 55-Microsite). Das Paket wurde in den Legislativprozess eingebracht und wird voraussichtlich Gegenstand umfassender Debatten unter den Mitgliedstaaten und im Europäischen Parlament sein.

In Deutschland wird die Festlegung weiterer konkreter Maßnahmen zur Erreichung der nationalen und europäischen Klimaschutzziele vor allem Aufgabe der künftigen Regierung sein. Die Koalitionsgespräche zwischen SPD, Grünen und FDP sind nach Abschluss der kleinteiligeren Diskussionen in den Arbeitsgruppen nunmehr in die finalen Verhandlungen auf Spitzenebene eingetreten. Die Parteienvertreter haben am 16. November 2021 bekräftigt, dass der Koalitionsvertrag im Laufe der nächsten Woche vorgelegt werden und die Kanzlerwahl dann in der zweiten Dezemberwoche stattfinden soll.

Die Verhandlungen werden streng vertraulich geführt, und im Gegensatz zu früheren Koalitionsgesprächen sickerten bislang kaum Informationen in die Öffentlichkeit durch. In ihrem Sondierungspapier von Mitte Oktober 2021 bestätigten die beteiligten Parteien jedoch den 1,5°C-Pfad und kündigten an, noch im Jahr 2022 ein Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen auf den Weg zu bringen, einschließlich der drastischen Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Der deutsche Kohleausstieg, der nach langwierigen Verhandlungen derzeit für 2038 geplant ist, soll beschleunigt werden und „idealerweise schon bis 2030“ erfolgen. Ausdrücklich befürworteten die Parteien auch die Vorschläge der EU-Kommission in den Verhandlungen über das „Fit for 55“-Paket und kündigten an, die Instrumente in den einzelnen Sektoren möglichst technologieneutral auszugestalten. Das hieße im Verkehrsbereich, dass in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen würden. Wann der finale Koalitionsvertrag veröffentlicht wird, bleibt abzuwarten. Die Äußerungen auf der COP26 könnten jedoch darauf hindeuten, dass der Kohleausstieg tatsächlich noch vor dem Jahr 2038 vollzogen werden könnte.

Darüber hinaus ist zu erwarten, dass in der Praxis insbesondere Förderinstitute und öffentliche Bürgschaftsgeber zur Absicherung von Exportkreditrisiken die deutsche Zusage berücksichtigen müssen, neue direkte öffentliche Förderung für den internationalen fossilen Energiesektor einzustellen. Dies dürfte zunächst regulatorische Leitlinien der neuen Regierung erfordern, um neue Finanzierungen von fossilen Brennstoffprojekten auszuschließen und die Förderung auf Projekte zu verlagern, die mit dem 1,5°C-Pfad vereinbar sind.

Was denken die deutsche Akteure?

Deutsche Industrievertreter, insbesondere der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), bewerteten die Ergebnisse der COP26 als nicht ausreichend und halten eine stärkere internationale Kooperation und verbindliche Klimaschutzziele praktisch aller Staaten für unverzichtbar. Bestehende oder gar zunehmende Unterschiede im Ehrgeiz für Klimaschutz brächten die Gefahr einer Verlagerung von Emissionen in Länder mit weniger strengen Klimaschutzmaßnahmen mit sich. Der CBAM, der Teil der „Fit for 55“-Vorschläge der EU-Kommission ist, könnte solche Carbon Leakage-Risiken generell abmildern, wird aber – wenn er umgesetzt wird – erst ab 2026 gelten.

Auch Umwelt- und Klimaschutzorganisationen halten die Ergebnisse der COP26 generell für nicht weitreichend genug. Greenpeace und Germanwatch sehen die künftige deutsche Regierung in der Pflicht, Sofortmaßnahmen zu ergreifen. Greenpeace hält die Umsetzung des Kohleausstiegs bis 2030 für zwingend notwendig und betont, deutsche Steuergelder dürften ab sofort nicht mehr für Kohle, Öl und Gas eingesetzt werden.

Erhöht sich das Klagerisiko für Unternehmen?

Im Anschluss an den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts und aufbauend auf dessen Erwägungen sowie dem Urteil des Bezirksgerichts Den Haag gegen Royal Dutch Shell im Mai 2021 (siehe unseren Blog Post) haben Mitglieder von Greenpeace und der Deutschen Umwelthilfe jüngst Klage gegen die Automobilhersteller Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW sowie den Öl- und Gaskonzern Wintershall Dea eingereicht, um die Unternehmen zu verpflichten, nach 2029/2030 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor in Verkehr zu bringen bzw., im Fall von Wintershall Dea, nach 2025 keine neuen Öl- oder Gasfelder mehr zu eröffnen. In allen Fällen argumentieren die Kläger im Wesentlichen damit, dass die Geschäftstätigkeit der jeweiligen Beklagten das globale CO2-Restbudget irreversibel reduziere und daher letztlich zu schwerwiegenden zukünftigen Grundrechtseinschränkungen für die Kläger führe, sobald das Budget aufgebraucht sei und der deutsche Gesetzgeber eine „Vollbremsung“ für jegliches CO2-emittierende Verhalten verhängen müsse (wie vom Bundesverfassungsgericht in seinem Klimabeschluss ausgeführt).

Mit Blick auf den Klimapakt von Glasgow könnten die Kläger und möglicherweise auch andere NGOs versuchen zu argumentieren, dass die nunmehrige Fokussierung auf das 1,5°C-Ziel einen globalen Konsens verdeutlicht, der zu einem noch geringeren Restbudget führt als noch vom Bundesverfassungsgericht angenommen. Denn dieses hatte seinen Überlegungen einen angestrebten Temperaturanstieg von höchstens 1,75°C zugrunde gelegt. Generell dürfte sich der Trend zu Klimaschutzklagen gegen Unternehmen sowohl in Deutschland als auch weltweit fortsetzen, so dass Unternehmen darauf vorbereitet sein sollten, ins Visier genommen zu werden, und über Strategien zur Risikominderung verfügen (insbesondere durch eine belastbare Klimaschutzplanung).

Darüber hinaus sind nach dem KSG alle Träger öffentlicher Aufgaben verpflichtet, die nationalen Klimaschutzziele bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen, wenn sie bei der Ausführung von Bundesrecht über einen Entscheidungsspielraum verfügen. Zwar sind die Details dieser Verpflichtung noch Gegenstand rechtlicher Diskussionen. Allerdings haben NGOs sie bereits als Einfallstor für die Forderung nach einer umfassenden "Klimaverträglichkeitsprüfung" ausgemacht. Mit dem gestiegenen Gewicht der Ziele des Pariser Übereinkommens nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und nun der Betonung des 1,5°C-Ziels im Klimapakt von Glasgow ist zu erwarten, dass Behördenentscheidungen, wie z.B. Genehmigungen für Projekte mit Relevanz für den Kohlenstoffausstoß, zunehmend in den Fokus von NGOs geraten werden.

Alles in allem haben die Ergebnisse der COP26 zwar keine völlig neuen Ansatzpunkte für Klimaschutzklagen gegen Unternehmen geliefert, aber sie bieten doch Möglichkeiten, die bestehende Argumentation weiter zu vertiefen oder zu verstärken. Ob eine solche Argumentation erfolgreich sein wird, bleibt indes abzuwarten.