Unternehmensstrafrecht

(Stand: 24. November 2021)

Nach jahrelangen Diskussionen in Wissenschaft und Praxis über ein Unternehmensstrafrecht legte das Bundesjustizministerium im April 2020 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft vor, gefolgt von einem Regierungsentwurf im Herbst 2020. Vorgesehen waren bedeutende konzeptionelle und umfangreiche Änderungen am bestehenden System der Sanktionierung von Unternehmen. Zu einzelnen Punkten konnte aber letztlich doch keine politische Einigung erzielt werden, so dass das Gesetz in der 19. Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden konnte und das Gesetz dem Diskontinuitätsgrundsatz unterfiel. Die neue Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag vom 24.11.2021 aber bereits angekündigt, die Unternehmenssanktionsvorschriften einschließlich der Sanktionshöhe überarbeiten zu wollen, um die Rechtssicherheit von Unternehmen im Hinblick auf Compliance-Pflichten zu verbessern und für interne Untersuchungen einen präzisen Rechtsrahmen zu schaffen.

Im Einzelnen sah der Regierungsentwurf Folgendes vor:

Anwendungsbereich

Das Unternehmenssanktionsrecht sollte in einem eigenen Gesetz, dem Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz – VerSanG), neu aufgesetzt werden, statt wie bisher im Ordnungswidrigkeitengesetz angesiedelt zu sein. Ein echtes Unternehmensstrafrecht sollte dabei nicht entstehen, sondern Verbände sollen für Straftaten haftbar gemacht werden, „durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte“ (§ 1 VerSanG-E). Geregelt werden sollte aber nur „die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist“ (§ 1 VerSanG-E). Auch sollte hoheitliches Handeln vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sein (§ 5 Nr. 3 VerSanG-E). Unter bestimmten Voraussetzungen sollten auch Auslandstaten als Grundlage für die Sanktionierung berücksichtigt werden (§ 2 Abs. 2 VerSanG-E).

Sanktionskatalog

Die geplanten Änderungen im Hinblick auf das geltende Recht betrafen zunächst den Sanktionskatalog:

  • Bislang kann gegen Unternehmen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht ein Bußgeld von bis zu 10 Mio. Euro verhängt werden (§ 30 OWiG). Während es für kleinere Verbände bei diesem Sanktionsrahmen bleiben sollte, sollten nach § 9 Abs. 2 VerSanG-E bei Unternehmen mit mehr als 100 Mio. Euro durchschnittlichem Jahresumsatz finanzielle Sanktionen von bis zu 10 % des Jahresumsatzes möglich sein, wenn eine Leitungsperson eine vorsätzliche Verbandstat begeht; bei Fahrlässigkeit sollte die Obergrenze bei 5 % liegen. Maßgeblich sollte insoweit der Konzernumsatz sein, d.h. der weltweite Umsatz aller natürlichen Personen und Verbände, die mit dem sanktionierten Verband als wirtschaftliche Einheit operieren. 
  • Daneben sollte weiterhin eine Vermögensabschöpfung in Form der Einziehung der Taterträge möglich sein (vgl. § 73b Abs. 1 S. 1 StGB-E). Die Verbandsgeldsanktion sollte damit gerade nicht die aus der Verbandstat erlangten Vermögenswerte abschöpfen, was sie so von der bisher bekannten Verbandsgeldbuße des § 30 OWiG unterschieden hätte.
  • Als weitere Sanktionsmöglichkeit sollte das Gericht den Verband unter bestimmten Voraussetzungen nach §§ 10 ff. VerSanG-E verwarnen, eine Verbandsgeldsanktion bestimmen und deren Verhängung vorbehalten können. Solch eine Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt, die etwa von dem betroffenen Verband unternommenen Compliance-Maßnahmen Rechnung tragen sollte, sollte auch mit Auflagen und Weisungen verbunden werden können.
  • Schließlich sollten verurteilte Unternehmen in ein Behördenregister, ein sog. Verbandssanktionenregister, eingetragen werden (§§ 54 ff. VerSanG-E), welches allerdings nicht öffentlich zugänglich sein sollte. Gleichwohl drohte Verbänden die Gefahr, dass die gegen sie verhängte Sanktion öffentlich wird: Bei einer großen Anzahl von Geschädigten sollte eine öffentliche Bekanntmachung nämlich zu Informationszwecken im Ermessen des Gerichts liegen (§ 14 VerSanG-E).

Anders als frühere Pläne sah der Entwurf allerdings nicht mehr vor, dass im Extremfall Unternehmen aufgelöst werden können. Zu diesem Punkt hatte es innerhalb der Koalition laut Presseberichten erhebliche Diskussionen gegeben.

Verfahren

Ferner sollte das Verfahrensrecht grundlegend neu geregelt werden:

  • Auch wenn das neue Gesetz explizit keinen strafrechtlichen Charakter haben sollte, sollte das Opportunitätsprinzip des Ordnungswidrigkeitenrechts durch das strafrechtliche Legalitätsprinzip ersetzt werden (vgl. Verweis auf die StPO in § 24 Abs. 1 VerSanG-E). Infolgedessen hätten Staatsanwaltschaften gegen ein Unternehmen ermitteln müssen, wenn es einen Anfangsverdacht für eine Verbandstat gibt.
  • Der Entwurf sah in den §§ 23 ff. VerSanG-E zudem detaillierte Verfahrensvorschriften vor. Dazu zählten z.B. Vertretungsregeln für das Unternehmen und Beschuldigtenrechte wie das Recht zu schweigen für den gesetzlichen Vertreter oder das Recht auf rechtliches Gehör. Unternehmen sollten zudem etwa Beweisanträge stellen oder Rechtsmittel einlegen können.

Internal Investigations

Das Gesetz sollte auch den Umgang mit unternehmensinternen Ermittlungen (internal investigations) regeln und für diesen Bereich nach der sog. Jones Day-Entscheidung des BVerfG (dazu hier mehr) „Rechtssicherheit“ für Unternehmen bringen:

  • Der Entwurf sah eine Trennung zwischen Unternehmensverteidigung und verbandsinterner Untersuchung vor. Unterlagen aus der Strafverteidigung sollten der Beschlagnahme entzogen sein. Materialien aus internen Untersuchungen sollten hingegen der Beschlagnahme unterliegen, sofern sie nicht „dem geschützten Vertrauensverhältnis zuzuordnen sind“ (vgl. § 97 Abs. 1 Nr. 3 StGB-E). Dies sollte laut der Entwurfsbegründung etwa Materialien aus Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung betreffen, die vor Vorliegen einer Beschuldigtenstellung stattfinden oder die der internen Compliance dienen.
  • Das Justizministerium wollte allerdings auch größere Anreize für Unternehmen schaffen, Compliance-Maßnahmen vorzunehmen oder interne Untersuchungen durchzuführen. Insbesondere sollte die Unterstützung bei der Aufklärung durch unternehmensinterne Untersuchungen unter bestimmten Voraussetzungen strafmildernd berücksichtigt werden (§§ 16 ff. VerSanG-E).

Der Gesetzentwurf war von Beginn an hoch umstritten. Er wurde bereits im Lauf der Ressortabstimmung in einigen Teilen modifiziert; insbesondere sah der Regierungsentwurf die Verbandsauflösung nicht mehr als ultima ratio vor und die Milderung der Verbandssanktion bei verbandsinternen Untersuchungen wurde als Soll- statt als Kann-Vorschrift ausgestaltet. Auch der Bundesrat bezog in einer Stellungnahme in mancherlei Hinsicht kritisch Stellung und regte etliche, darunter durchaus bedeutsame Änderungen des Gesetzes an.

Zwar hatte die Bundesregierung den Entwurf mit lediglich marginalen Änderungen dem Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung übermittelt, doch dieser hat sich in der 19. Legislaturperiode nicht mehr mit dem Entwurf befasst. Während die SPD-Fraktion Presseberichten zufolge auf eine Realisierung innerhalb der Legislaturperiode drängte, ging die Kritik an der Unionsfraktion nicht spurlos vorüber. Umstritten sei insbesondere der Umgang mit internen Ermittlungen gewesen, so dass sich eine Einigung kurz vor Ende der Legislaturperiode nicht mehr erzielen ließ.

Das Gesetzesvorhaben unterfiel damit dem Diskontinuitätsprinzip und konnte nach der Bundestagswahl im September 2021 nicht einfach fortgesetzt werden. Die neue Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag vom 24.11.2021 aber bereits angekündigt, sich des Themas annehmen zu wollen. Unternehmen sind daher gut beraten, den Themenkomplex weiterhin genau zu beobachten.