Kollektiver Rechtsschutz
(Stand: 29.9.2023)
Der kollektive Rechtsschutz bleibt in Bewegung: In Umsetzung der EU-Verbraucherverbandsklagenrichtlinie wird mit dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) in Deutschland erstmalig eine Sammelklage eingeführt, die auf Abhilfe und insbesondere Schadenersatz gerichtet ist. Die neue Verbandsabhilfeklage tritt neben die bestehenden Instrumente wie die Musterfeststellungsklage, die erst 2018 eingeführt wurde.
Die Musterfeststellungsklage
In Deutschland wurde der kollektive Rechtsschutz traditionell kritisch gesehen, auch vor dem Hintergrund von Befürchtungen, es könne zu amerikanischen Verhältnissen („class actions") kommen. Vor allem mit Blick auf den Dieselskandal änderte sich die Position in weiten Teilen der deutschen Politik. Die damalige Große Koalition führte im Eiltempo so genannte Musterfeststellungklagen ein: Das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage trat am 1.11.2018 in Kraft.
Seitdem sind in Deutschland bestimmte qualifizierte Einrichtungen berechtigt, eine Musterfeststellungsklage mit dem Ziel zu erheben, das (Nicht-) Vorliegen von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das (Nicht-) Bestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer festzustellen. Das Gericht soll dann verbindlich über Streitfragen entscheiden, die nicht in Einzelprozessen individuell geklärt werden müssen. Den Rechtsstreit zu Ende führen müssen die Betroffenen allerdings selbst, sofern es nicht durch die Musterfeststellung bereits zu einem Vergleich kommt. Erste Verfahren sind zwischenzeitlich beendet.
Die Verbandsklage
Auch die Europäische Union stellte bereits seit längerem Überlegungen zum kollektiven Rechtsschutz an. Nachdem verschiedene unverbindliche Initiativen weitgehend wirkungslos geblieben sind und die EU sich durch den Dieselskandal zum Handeln gezwungen sah, wurde Ende 2020 die EU-Verbraucherverbandsklagenrichtlinie verabschiedet. Mit der Richtlinie (EU) 2020/1828 werden die Mitgliedstaaten zur Einführung von Verbandsklagen verpflichtet, die bei Verstößen gegen bestimmte verbraucherschützende Rechtsakte von so genannten qualifizierten Einrichtungen wie Verbraucherverbänden stellvertretend für Geschädigte erhoben werden können, etwa um Unterlassungsverfügungen, Abhilfemaßnahmen oder Schadensersatz durchzusetzen. Die Richtlinie räumt den qualifizierten Einrichtungen also weitreichende Klagebefugnisse ein und unterscheidet sich daher wesentlich von der Musterfeststellungsklage, die lediglich zur Feststellung eines Rechtsverhältnisses führt und in deren Anschluss der einzelne Verbraucher seinen Anspruch im Individualverfahren durchsetzen muss. Die EU-Verbandsklage unterscheidet sich aber nicht nur hinsichtlich des Grundkonzepts, sondern auch in weiteren Details von der deutschen Musterfeststellungsklage (Näheres hierzu in unserem Alert).
Nach den Vorgaben der Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten bis zum 25.12.2022 Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, und weitere 6 Monate, um die neuen Vorschriften anzuwenden. Die Umsetzung der Richtlinie erfolgte lediglich in drei Mitgliedstaaten fristgerecht (vgl. unseren Implementation Tracker) und die Kommission hat dementsprechend gegen die weiteren Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet (Näheres in unserem Blog Post). Auch Deutschland gehört zu letzteren.
Nach intensiver Diskussion über den Referentenentwurfund den Regierungsentwurf und mehrfachen Änderungen hat der Deutsche Bundestag am 7.7.2023 schließlich das Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) beschlossen, das nach Billigung durch den Bundesrat am 29.9.2023 im Herbst 2023 in Kraft treten wird. Im Kern sieht das Umsetzungsgesetz ein neues Stammgesetz vor, das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG), in welches die derzeit in der ZPO geregelte Musterfeststellungsklage integriert wird und durch welches daneben erstmalig eine Sammelklage eingeführt wird, die auf Abhilfe und insbesondere Schadenersatz gerichtet ist (Näheres hierzu in unserem Alert sowie in unserem Blog).
Ausblick
Die der Umsetzung der EU-Richtlinie dienende Abhilfeklage stellt ein Novum im deutschen Recht dar, ist aber durch die Richtlinie vorgegeben und kommt daher nicht überraschend. Für Unternehmen bedeutet die neue Regelung, dass sie selbst bei geringfügigen Rechtsverstößen und damit verbundenen Schäden aufgrund der möglicherweise großen Zahl der betroffenen Verbraucher mit massiven finanziellen Verpflichtungen rechnen müssen. Der Bundestag rechnet zwar nur mit 15 Abhilfeklagen pro Jahr, doch könnte die tatsächliche Zahl angesichts des großen Interesses, das Verbraucherverbände und andere qualifizierte Einrichtungen während des Gesetzgebungsverfahrens gezeigt haben, und der verbraucherfreundlichen Änderungen, die im Laufe des Gesetzgebungsvorgangs vorgenommen wurden, deutlich höher liegen.
Weitere Informationen zu der Verbraucherverbandsklagerichtlinie und deren Umsetzung ins deutsche Recht können Sie unserer Gesetzesvorhabenseite im Knowledge Portal entnehmen.
In unserem Implementation Tracker informieren wir Sie laufend über die Umsetzung der Richtlinie in ausgewählten Jurisdiktionen. Besuchen Sie auch unseren globalen Hub zum kollektiven Rechtsschutz.