Unternehmensverantwortung in globalen Lieferketten

Die Einhaltung der Menschenrechte in Lieferketten ist seit Jahren ein Thema für Unternehmen aus allen Industriezweigen. Lange wurde auf Freiwilligkeit gesetzt, doch mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz unterliegen Unternehmen verbindlichen Vorgaben für die Supply Chain Due Diligence, mit denen neue Pflichten und Haftungsrisiken einhergehen. Auch in der EU zeichnet sich eine Richtlinie ab, die eine verbindliche Regulierung zum Ziel hat und voraussichtlich über das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinausgehen wird.

Hintergrund

Unternehmen sehen sich aus wertebasierten und wirtschaftlichen Gründen zunehmend in der Verantwortung, für die Einhaltung von Menschenrechten und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen Sorge zu tragen – auch und gerade in Lieferketten außerhalb des eigenen Konzerns. Auf Grundlage der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte aus dem Jahr 2011 wird schon lange die Einführung zuverlässiger Richtlinien und Prozesse zur Identifikation und Beseitigung von Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette gefordert. Diesem Anliegen soll nun sowohl auf deutscher wie europäischer Ebene nachgekommen werden. 

Deutschland

Nach intensiven Diskussionen einigte sich die Große Koalition in der letzten Legislaturperiode auf ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das verbindliche Vorgaben für die Supply Chain Due Diligence macht. Das im Juni 2021 verabschiedete und im Juli 2021 im Bundesgesetzblatt verkündete Gesetz sieht Folgendes vor (ausführlichere Infos in unserem Newsletter):

Sorgfaltspflichten in der Lieferkette

Unternehmen wird eine klare Pflicht auferlegt, ihrer Verantwortung in der Wertschöpfungskette im Hinblick auf Sozialstandards wie Arbeitsbedingungen, Sicherheit und Gesundheit sowie umweltbezogene Aspekte nachzukommen. Im Einzelnen umfassen die Sorgfaltspflichten

  • ein adäquates Risikomanagement,
  • Risikoanalysen,
  • die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung zur Menschenrechtsstrategie des Unternehmens,
  • Präventionsmaßnahmen,
  • das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen im Fall der (drohenden) Verletzung geschützter Rechtspositionen,
  • die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens sowie
  • Dokumentations- und Berichtspflichten.

Das Ausmaß dieser Pflichten ist durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bzw. das Kriterium der Angemessenheit begrenzt. Entscheidend ist hierbei die Art und der Umfang der Geschäftstätigkeit des Unternehmens, der Grad des Einflussvermögens auf den unmittelbaren Verursacher, die Schwere der Verletzung und die Wahrscheinlichkeit des Verletzungseintritts sowie die Art des Verursachungsbeitrags.

Zudem ist ein gestuftes Pflichtenkonzept vorgesehen: Pflichten der höchsten Stufe treffen Unternehmen nur im eigenen Geschäftsbereich, auf zweiter Stufe sind Unternehmen auch verantwortlich für ihre direkten Zulieferer und falls tatsächlich Verstöße bekannt werden in Unternehmen, die weiter hinten in der Lieferkette stehen, greift auf dritter Stufe schließlich eine Sorgfaltspflicht bzw. mittelbare Verantwortung.

Anwendungsbereich

Das Gesetz findet Anwendung auf Unternehmen gleich welcher Rechtsform, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungs- oder satzungsmäßigen Sitz oder eine Zweigniederlassung gemäß § 13d HGB im Inland haben.

Belastung kleinerer und mittlerer Unternehmen über die Ausgestaltung des Anwendungsbereichs zu vermeiden: Das Gesetz findet ab 2023 Anwendung auf Unternehmen, die in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen, ab 2024 wird dieser Schwellenwert auf 1000 Arbeitnehmer abgesenkt. In die Berechnung dieser Arbeitnehmerzahl fließen Leiharbeitnehmer ein, wenn die Einsatzdauer 6 Monate übersteigt, sowie innerhalb eines Konzernverbunds im Inland beschäftigte Arbeitnehmer konzernangehöriger Gesellschaften. In welchem Umfang dies kleinere und mittlere Unternehmen entlastet, ist jedoch zweifelhaft, da vom Anwendungsbereich umfasste große Unternehmen gesetzlich verpflichtet sind, ihre unmittelbaren, kleineren Zulieferer anzuhalten, menschenrechts- und umweltbezogene Erwartungen entlang der Lieferkette angemessen zu adressieren.

Durchsetzung

Die Durchsetzung obliegt vor allem dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). An dieses müssen Unternehmen jährlich Bericht erstatten über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten. Darüber hinaus ist das BAFA berechtigt, Kontrollen durchzuführen, Maßnahmen anzuordnen, Auskünfte einzuholen und im Fall von Verstößen Zwangs- und Bußgelder zu verhängen. Die Höhe der Geldbußen ist hierbei nach Tatbeständen gestaffelt für Unternehmen mit bis zu 400 Mio. Euro Konzernjahresumsatz, bei größeren Unternehmen werden Ordnungswidrigkeiten sogar mit Geldbußen von bis zu 2% des durchschnittlichen Konzernjahresumsatzes geahndet. Daneben ist ein Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen von bis zu 3 Jahren vorgesehen.

Die ursprünglichen Pläne der seinerzeit federführenden Arbeits- und Entwicklungsministerien für eine weitgehende zivilrechtliche Haftung bei Verletzung wesentlicher Rechtsgüter wurden letztlich verworfen. Stattdessen ist nunmehr lediglich vorgesehen, dass Geschädigte bei Verletzung bestimmter Rechtspositionen inländischen Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen die Ermächtigung zur Prozessführung erteilen können (besondere Prozessstandschaft). Eine unabhängig vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz begründete zivilrechtliche Haftung bleibt weiterhin möglich.

Europäische Union

Auf EU-Ebene werden ähnliche Pläne vorangetrieben. Am 23. Februar 2022 hat die Kommission einen Richtlinienentwurf über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen vorgelegt, der deutlich über das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinausgeht. Vorausgegangen waren verschiedene Ankündigungen von Justizkommissar Didier Reynders, eine – sehr weitreichende, aber unverbindliche – Entschließung des Europäischen Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfalts- und Rechenschaftspflicht von Unternehmen und eine Stellungnahme des Rates. Im Richtlinienentwurf ist kurz zusammengefasst Folgendes vorgesehen (weitere Details in unserem Newsletter):

Sorgfaltspflichten in der Lieferkette

Ähnlich wie nach deutschem Recht sollen Unternehmen nach dem Entwurf

  • tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt (wie in einem Annex zu der Richtlinie näher aufgeführt) ermitteln,
  • potenzielle Auswirkungen verhindern oder abschwächen,
  • tatsächliche Auswirkungen abstellen oder sie auf ein Minimum reduzieren,
  • ein Beschwerdeverfahren einrichten,
  • die Wirksamkeit der Strategien und Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht kontrollieren und
  • öffentlich über die Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflicht berichten.

Betroffen soll die gesamte Lieferkette in beide Richtungen sein, also die vorgelagerten und die nachgelagerten Wertschöpfungsketten, wobei die weitesten Vorgaben nur für direkte Zulieferer und Abnehmer gelten sollen.

Anders als das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nimmt der Richtlinienvorschlag auch dezidiert auf Geschäftsleitungen Bezug: Sie sollen dazu verpflichtet werden, für die Umsetzung und Überwachung der Sorgfaltspflichten zu sorgen. Außerdem sollen sie im Rahmen ihrer Pflicht, im besten Interesse des Unternehmens zu handeln, stets die Folgen ihrer Entscheidungen für Menschenrechte, Klimawandel und Umwelt zu berücksichtigen haben.

Anwendungsbereich

Gegenüber dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz soll ein deutlich weiterer Anwendungsbereich gelten. Die Sorgfaltspflichten sollen für die folgenden Unternehmen und Sektoren greifen:

  • EU-Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens 150 Mio. EUR weltweit (Gruppe 1),
  • andere EU-Unternehmen, die in bestimmten ressourcenintensiven Branchen (z.B. in der Textil- und Lebensmittelindustrie) tätig sind und die nicht beide Schwellenwerte der Gruppe 1 erfüllen, aber mehr als 250 Beschäftigte und einen Nettoumsatz von mindestens 40 Mio. EUR weltweit haben, und
  • in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten, die einen Umsatz in Höhe von Gruppe 1 oder Gruppe 2 innerhalb der EU erwirtschaften.

Kleine und mittlere Unternehmen sollen demnach zwar nicht direkt in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Allerdings sollen die Vorschriften nicht nur für die Unternehmen selbst, sondern auch für ihre Tochtergesellschaften und die gesamte Wertschöpfungskette (direkt und indirekt bestehende sowie vor- und nachgelagerte Geschäftsbeziehungen) gelten, so dass auch kleinere Unternehmen betroffen sein werden. Insbesondere ist vorgesehen, dass Vertragspartner vertraglich zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten und zur Einholung entsprechender vertraglicher Zusicherungen bei ihren eigenen Vertragspartnern verpflichtet werden sollen, wobei im Fall von kleinen und mittleren Unternehmen die verwendeten Bedingungen fair, angemessen und nicht-diskriminierend sein sollen.

Grundsätzlich sollen die Vorschriften zwei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie Anwendung finden, nur Unternehmen der Gruppe 2 sollen zwei Jahre mehr Zeit bekommen.

Durchsetzung

Ähnlich wie nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sollen (von den Mitgliedstaaten benannte) nationale Behörden für die Beaufsichtigung der Unternehmen zuständig sein. Diese sollen insbesondere bei Nichteinhaltung von Sorgfaltspflichten Geldbußen verhängen können.

Darüber hinaus sollen Unternehmen im Falle eines Verstoßes gegen ihre Verpflichtungen zivilrechtlich für die Schäden haften, die durch geeignete Maßnahmen hätten verhindert, reduziert oder beseitigt werden können. Auch wenn Beschränkungen gelten sollen (z.B. im Hinblick auf mittelbare Zulieferer), wäre dies ein weitgehender Schritt, der je nach Umsetzung in den Mitgliedstaaten erhebliche zusätzliche Haftungsrisiken bergen könnte.

Flankiert wird der Richtlinienvorschlag durch einen separaten Vorschlag für eine Verordnung über ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt vom September 2022 (nähere Informationen hier). Zwangsarbeit wurde – für manche überraschend – letztlich in dem Richtlinienvorschlag ausgeklammert, wohl auch um einen politischen Kompromiss zu der Richtlinie nicht zu gefährden. 

Die Annahme des Richtlinienvorschlags durch die Kommission markiert nur den Beginn des Gesetzgebungsverfahrens. Im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens vergehen vom Vorschlag der Kommission bis zur förmlichen Verabschiedung durchschnittlich etwa 18 Monate, in diesem Fall ist aber mit einem längeren Zeitraum zu rechnen. Im Detail ist vieles umstritten und die Positionen der EU-Institutionen sowie der Industrie unterscheiden sich erheblich. So hat der Rat in seiner Anfang Dezember 2022 festgelegten Verhandlungsposition weitreichende Änderungen vorgeschlagen (nähere Informationen hier). Das Parlament hat sich nach intensiven Diskussionen Anfang Juni 2023 positioniert (nähere Informationen hier). Angesichts der politischen Sensibilität des Vorschlags sind intensive Trilogverhandlungen zu erwarten, ein erster Schritt auf dem Weg zu einer weitgehenden Supply Chain Due Diligence auf EU-Ebene ist aber getan.

Ausblick

Nach jahrelangen Diskussionen wurde mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz die freiwillige Selbstverpflichtung durch verbindliche, von Durchsetzungsmechanismen flankierten Regelungen zur Einhaltung von Menschenrechten in Lieferketten abgelöst. Dieser Paradigmenwechsel weitet den Verantwortungsbereich von Unternehmen aus und steigert die Anforderungen an ein angemessenes Lieferkettenmanagement. Sie sind gut beraten, ihre Risikoanalysen anzupassen und ihre Compliance-Maßnahmen konsequent auf gesellschaftliche und soziale Belange entlang der Lieferkette zu erweitern. Zudem gilt es, die weitere Entwicklung auf EU-Ebene genau zu beobachten, hier zeichnen sich noch weitreichendere Pflichten und Haftungsrisiken ab.