EU-Richtlinie zur Regelung von Plattformarbeit
Hintergrund
Nach Erkenntnissen der Europäischen Union arbeiten mehr als 28 Millionen Menschen über eine (oder mehrere) digitale Arbeitsplattformen. Im Jahr 2025 dürfte diese Zahl auf 43 Millionen steigen. Aus diesem Grund hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten, die Plattformarbeit leisten, zu verbessern. Zu diesem Zweck hatte die Europäische Kommission einen ersten Richtlinien-Entwurf zur „Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit“ vorgelegt und zur Diskussion gestellt.
Nach mehr als zwei Jahren nach Veröffentlichung dieses ersten Entwurfs und zähem Ringen um dessen Inhalte, hat das Europäische Parlament am 24. April 2024 eine Richtlinie mit demselben Titel, jedoch mit teils fundamentalen Abweichungen zu dem einstigen Entwurf der Europäischen Kommission verabschiedet. Nachdem die Richtlinie am 11. November 2024 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, haben die Mitgliedstaaten nunmehr bis zum 2. Dezember 2026 Zeit, die Vorgaben der neuen Richtlinie umzusetzen.
Mit diesem Beitrag geben wir einen Überblick über die neue sog. Plattformarbeits-Richtlinie sowie Hinweise, worauf sich Plattformanbieter zukünftig einstellen müssen.
Wesentliche Inhalte der Plattformarbeits-Richtlinie
Selbsterklärtes Ziel der Plattformarbeitsrichtlinie ist es, die Arbeitsbedingungen von Plattformbeschäftigten zu verbessern und die personenbezogenen Daten von Personen, die Plattformarbeit leisten, zu schützen. Dieses Ziel möchte der Europäische Gesetzgeber im Wesentlichen mithilfe der nachfolgenden Kerninhalte der Plattformarbeits-Richtlinie erreichen.
Begriffsdefinitionen
Die Plattformarbeits-Richtlinie definiert in ihrem Art. 2 zunächst die zentralen Begriffe der Richtlinie, die grundsätzlich für alle digitalen Arbeitsplattformen gelten soll, die in der Union geleistete Plattformarbeit organisieren. Digitale Arbeitsplattform soll jede natürliche oder juristische Person sein, die eine Dienstleistung erbringt, die die folgenden Anforderungen erfüllt:
- Sie wird zumindest teilweise auf elektronischem Wege, z.B. über eine Website oder eine mobile Anwendung, aus der Ferne bereitgestellt;
- Sie wird auf Verlangen eines Empfängers der Dienstleistung erbracht;
- Sie umfasst als notwendigen und wesentlichen Bestandteil die Organisation der von Einzelpersonen entgeltlich geleisteten Arbeit, unabhängig davon, ob diese Arbeit online oder an einem bestimmten Ort aufgeführt wird;
- Sie geht mit dem Einsatz automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme einher.
Ausweislich der Erwägungsgründe der Plattformarbeits-Richtlinie sollen demgegenüber Online-Plattformen, die lediglich die Mittel bereitstellen, mit denen Dienstleistungsanbieter den Endnutzer erreichen können, indem sie beispielsweise Angebot und Nachfrage nach Dienstleistungen auflisten oder verfügbare Dienstleistungsanbieter in einem bestimmten Bereich aggregieren und anzeigen, nicht als digitale Arbeitsplattform gelten.
Als Plattformarbeit wird sodann jede Arbeit definiert, die über eine digitale Arbeitsplattform organisiert und in der Europäischen Union von einer Person auf der Grundlage eines Vertragsverhältnisses zwischen der digitalen Arbeitsplattform oder einem Vermittler und der Person ausgeführt wird. Eine vertragliche Beziehung zwischen der Einzelperson oder einem Vermittler und dem Empfänger der Dienstleistung wird nicht als erforderlich angesehen.
Vermutung des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses
Die Zentrale Regelung der Plattformarbeits-Richtlinie ist eine gesetzliche Vermutung, die die korrekte Bestimmung des Beschäftigtenstatus von Personen, die Plattformarbeit leisten, wirksam erleichtern soll. Zu diesem Zweck soll nach Art. 5 Abs. 1 der Plattformarbeits-Richtlinie das Vertragsverhältnis zwischen einer digitalen Arbeitsplattform und einer Person, die Plattformarbeit leistet, rechtlich als Arbeitsverhältnis angesehen werden, wenn gemäß den nationalen Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder den Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs Tatsachen, die auf Kontrolle und Steuerung hindeuten, festgestellt werden.
Der Inhalt dieser Regelung war der Grund dafür, weshalb lange Zeit keine Einigung zwischen den Mitgliedstaaten über eine Richtlinie zur Regelung von Plattformarbeit erzielt werden konnte. Der ursprüngliche Entwurf sah nämlich noch eine deutlich verschärfte Form der Vermutungsregelung vor. Danach mussten für die Vermutung eines Arbeitsverhältnisses u. a. mindestens zwei von insgesamt fünf Kriterien erfüllt sein, die jedoch nur sehr vage gehalten waren. Zu ihnen zählten z.B. die Aufforderung, bestimmte Regeln in Bezug auf Erscheinungsbild und Verhalten gegenüber dem Dienstleistungsempfänger bzw. die Arbeitsleistung einzuhalten oder die Einschränkung der Möglichkeit, einen Kundenstamm aufzubauen oder Arbeiten für Dritte auszuführen. Eine derartige Regelung hätte nicht nur den Beurteilungsspielraum der nationalen Gerichte stark eingeschränkt, sondern in einer Vielzahl von Fällen stets zu einem Arbeitsverhältnis der betreffenden Plattformarbeiter geführt.
Derzeit wird die Frage, ob Plattformarbeiter „Arbeitnehmer“ sind und damit den vielen, auch EU-rechtlich geprägten Schutzvorschriften, unterfallen, in den Mitgliedstaaten unterschiedlich und einzelfallabhängig entschieden. Französische und spanische Gerichte haben bestimmte Plattformarbeiter beispielsweise als Arbeitnehmer qualifiziert (in Spanien ging es um Fahrer einer Food-Delivery Plattform, in Frankreich um Uber-Fahrer), während ein belgisches Gericht solche Fahrer als Solo-Selbstständige einordnete.
Die Rechtslage in Deutschland ist bislang durch eine Entscheidung des BAG vom 1. Dezember 2020 geprägt. Anders als die Vorinstanzen hat das BAG einen Crowdworker, der für eine Plattform die ordnungsgemäße Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen überprüft hat, als Arbeitnehmer der Plattform eingestuft. Dieser hatte zwar jeweils nur kleinere, geringfügig bezahlte Aufgaben erledigt, dies jedoch in erheblichem Umfang und über einen längeren Zeitraum. Entscheidend sei gewesen, dass durch die Ausgestaltung der App, vor allem die stetige Freischaltung besser vergüteter Aufträge, ein Anreiz dazu geschaffen worden sei, kontinuierlich für diese Plattform tätig zu werden. Das habe zu persönlicher Abhängigkeit geführt, dem entscheidenden Merkmal des deutschen Arbeitnehmerbegriffs.
Die nun von dem Parlament angenommene Fassung der Vermutungswirkung legt es in die Hände der Mitgliedstaaten, eine Regelung einzuführen, die ein Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Kriterien der Steuerung und Kontrolle vermuten lassen. Der damit einhergehende legislative Gestaltungsspielraum ist einerseits zu begrüßen, andererseits birgt er nicht nur die Gefahr divergierender Regelungen in den Mitgliedstaaten, sondern auch eine verbleibende Rechtsunsicherheit mit Blick auf eine richtlinienkonforme Umsetzung.
Beweislastumkehr
Mit der Vermutungswirkung wird eine – im deutschen Recht bislang nicht vorgesehene – Beweislastumkehr einhergehen. Es wird demnach fortan Sache der Plattformbetreiber sein, die Vermutung zu widerlegen, indem sie nachweisen, dass kein Arbeitsverhältnis besteht. Damit werden Plattformanbieter vor nicht unbedeutende praktische Herausforderungen gestellt, die ein sorgfältiges Compliance-Management erfordern werden.
Verwendung algorithmischer Systeme am Arbeitsplatz
Als weiteres zentrales Thema behandelt die Plattformarbeitsrichtlinie die Verwendung algorithmengesteuerter automatisierter Überwachungs- und Entscheidungssysteme. Durch diese würden nämlich zunehmend Funktionen ersetzt, die in Unternehmen üblicherweise von Managern wahrgenommen werden, wie das Zuweisen von Aufgaben, die Bepreisung einzelner Aufträge, die Festlegung von Arbeitszeiten, das Erteilen von Anweisungen, die Bewertung der geleisteten Arbeit, das Schaffen von Anreizen oder der Einsatz von Sanktionen. Solche algorithmischen Systeme würden auch von digitalen Arbeitsplattformen genutzt, insbesondere um die Plattformarbeit zu organisieren und zu verwalten. Personen, die Plattformarbeit leisten, würden jedoch in der Regel keinen Zugang zu Informationen darüber erhalten, wie die Algorithmen funktionieren, welche personenbezogenen Daten verwendet werden und wie ihr Verhalten die Entscheidung der automatisierten Systeme beeinflusst.
Aus diesem Grund enthält die Richtlinie gleich mehrere Regelungen zum algorithmischen Management mit u.a. folgenden Inhalten:
- Einschränkungen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten mittels automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme, wie bspw. Daten über den emotionalen oder psychischen Zustand einer Person und persönliche Überzeugungen;
- Informationspflichten der digitalen Arbeitsplattformen über die Nutzung automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme;
- Aufsichtspflichten der digitalen Arbeitsplattformen einschließlich einer regelmäßigen Bewertung der Auswirkungen automatisierter Überwachungs- und Entscheidungssysteme auf Personen, die Plattformarbeit leisten, auf ihre Arbeitsbedingungen und Gleichbehandlung am Arbeitsplatz unter Einbeziehung etwaiger Arbeitnehmervertreter; sowie
- Begründungspflichten hinsichtlich jeder von einem automatisierten Entscheidungssystem getroffenen Entscheidung.
Praxishinweise
Wie eingangs erwähnt haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bis zum 2. Dezember 2026 Zeit, die Vorgaben der Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
Wie die Umsetzung im Einzelnen aussehen wird, bleibt abzuwarten. Für Deutschland dürfte es für den Gesetzgeber mit Blick auf die Vermutungswirkung sicherlich naheliegen, sich an den bereits geltenden Kriterien eines Arbeitsverhältnisses sowie den zur rechtlichen Behandlung von Crowdworkern vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Kriterien zu orientieren. Welche langfristigen Auswirkungen die neuen Regelungen auf die digitale Wirtschaft haben werden, lässt sich derzeit noch nicht sicher vorhersagen.
In jedem Falle sind Plattformanbieter gut beraten, die nationalen Gesetzesentwicklungen zu beobachten und sich auf diese sodann im Einzelnen vorzubereiten. Wir werden Sie über die weiteren Entwicklungen auf dieser Themenseite auf dem Laufenden halten.