Whistleblowing
Hintergrund
In den EU-Mitgliedstaaten unterlag der Schutz von Whistleblowern bislang unterschiedlichen Regelungen. Lange wurde auf europäischer Ebene um die Whistleblowing-Richtlinie gerungen, die letztlich am 26. November 2019 im EU-Amtsblatt veröffentlicht wurde. Die Richtlinie (EU) 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, soll einerseits einheitliche Standards für den Whistleblower-Schutz schaffen und andererseits dem Interesse der Unternehmen an Integrität und Geheimniswahrung gerecht werden. Die Frist zur Umsetzung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten ist bereits am 17. Dezember 2021 abgelaufen.
Zwar gab es bereits in der vergangenen Legislaturperiode einen Referentenentwurf, den das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ausgearbeitet hatte. Dieser hatte es jedoch noch nicht einmal durch die Ressortabstimmung geschafft, da es Unstimmigkeiten innerhalb der Regierungsfraktionen aufgrund einer „überschießenden Umsetzung“ der Richtlinie gab. Nachdem die EU-Kommission Anfang 2022 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen mehrere Mitgliedstaaten einschließlich der Bundesrepublik Deutschland eingeleitet hatte, legte das Bundesministerium der Justiz im April 2022 einen neuen Referentenentwurf eines „Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ (sog. Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG) vor, den das Bundeskabinett im Juli 2022 mit leichten Modifikationen beschlossen hatte. Nach anschließender Beratung im Parlament sowie Überweisung in den Rechtsausschuss verabschiedete der Bundestag am 16. Dezember 2022 – und somit fast auf den Tag genau ein Jahr nach Ablauf der Umsetzungsfrist – ein HinSchG, welches aufgrund der Beschussempfehlung des Rechtsausschusses im letzten Moment noch einige nicht ganz unbedeutende Änderungen erfahren hatte. Am 10. Februar 2023 verweigerte der Bundesrat auf Betreiben der unionsgeführten Bundesländer dem Gesetz jedoch seine Zustimmung. Daraufhin rief die Bundesregierung den Vermittlungsausschuss an, der nunmehr am 9. Mai 2023 formell einen Einigungsvorschlag zwischen den Positionen des Bundes und der Länder beschloss. Der Kompromiss geht mit weiteren Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf einher und macht einige durch den Rechtsausschuss veranlasste Änderungen wieder rückgängig. Der Bundestag hat die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses in seiner Sitzung am 11. Mai 2023 bestätigt. Dem ist der Bundesrat in seiner Plenarsitzung am 12. Mai 2023 unmittelbar gefolgt. Nach der Gegenzeichnung bleiben daher lediglich noch die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten und die Verkündung abzuwarten, welche aber bloße Formalitäten darstellen dürften.
Im Folgenden stellen wir die wichtigsten Inhalte des Gesetzes sowie die wichtigsten Modifikationen gegenüber den bisherigen Entwürfen vor.
Eckpunkte des HinSchG
Das HinSchG soll Benachteiligungen hinweisgebender Personen ausschließen und ihnen dadurch Rechtssicherheit geben. Dies soll durch folgende Kernregelungen gelingen:
Anwendungsbereich
Der durch die Richtlinie vorgesehene Schutz erstreckt sich auf eine Reihe von Bereichen, in denen die Durchsetzung des Unionsrechts mit Hilfe der Aufdeckungen durch Whistleblower verbessert werden soll. Während der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie weit gefasst ist, beschränkt sich der sachliche Anwendungsbereich auf die Meldung von Rechtsverstößen in spezifischen Bereichen. Hierüber geht das HinSchG hinaus.
- Der persönliche Anwendungsbereich des HinSchG erstreckt sich auf sog. hinweisgebende Personen. Damit sind alle natürlichen Personen gemeint, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die nach dem HinSchG vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen. Damit umfasst der persönliche Anwendungsbereich nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch weitere Personengruppen wie beispielsweise Selbständige, Anteilseigner und Mitarbeiter von Lieferanten. Nach der Gesetzesbegründung sollen auch hinweisgebende Personen, deren Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet wurde, sowie Personen, deren Arbeitsverhältnis noch nicht begonnen hat und sich in einem vorvertraglichen Stadium befindet, in den Anwendungsbereich einbezogen werden. Darüber hinaus sollen auch Personen geschützt werden, die von einer Meldung oder Offenlegung betroffen sind.
- In sachlicher Hinsicht nimmt das HinSchG im Verhältnis zur Richtlinie Ergänzungen vor, indem insbesondere auch das Strafrecht und bestimmte Ordnungswidrigkeiten, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib, Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient, in den Anwendungsbereich einbezogen werden. Laut Begründung sollen dadurch anderenfalls auftretende Wertungswidersprüche vermieden und das Hinweisgeberschutzsystem für Rechtsanwender handhabbar gestaltet werden.
Zusätzlich zum Strafrecht und bestimmten Ordnungswidrigkeiten enthält das HinSchG eine Auflistung von Rechtsbereichen, in denen Verstöße ebenfalls in den sachlichen Anwendungsbereich fallen. Zu diesen, auch in der Richtlinie genannten Rechtsbereichen zählen etwa die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Eisenbahnbetriebssicherheit, Umwelt- und Strahlenschutz, erneuerbare Energien, Lebensmittel- und Futtersicherheit, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz, Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten, Sicherheit von Netz- und Informationssystemen, Aktionärsrechte, die Abschlussprüfung sowie die Rechnungslegung. Insoweit soll der sachliche Anwendungsbereich bereits dann eröffnet sein, wenn ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften des Bundes oder der Länder in Rede steht. Darüber hinaus werden Verstöße gegen unmittelbar geltende Rechtsakte der Europäischen Union oder der Europäischen Atomgemeinschaft sowie Verstöße gegen unionsrechtliche sowie nationale Vorschriften des Kartellrechts erfasst. Aufgrund der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses sind anlässlich der kürzlichen Ereignisse auch schließlich noch Meldungen von Äußerungen von Beamtinnen und Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen, in den sachlichen Anwendungsbereich des HinSchG aufgenommen worden.
Der im Vermittlungsausschuss erzielte Kompromiss stellt klar, dass nur noch solche Verstöße erfasst sind, die sich auf einen Beschäftigungsgeber oder eine andere Stelle beziehen, mit der die hinweisgebende Person beruflich in Kontakt stand.
Einrichtung von Meldestellen
Es sind zwei Meldewege (intern und extern) für hinweisgebende Personen vorgesehen, zwischen denen hinweisgebende Personen wählen können sollen:
- Für private Unternehmen sowie Organisationseinheiten der öffentlichen Hand mit in der Regel mindestens 50 Beschäftigten sollen die Einrichtung und der Betrieb von internen Meldestellen für Hinweisgeber verpflichtend sein. Für bestimmte Unternehmen soll die Verpflichtung zudem unabhängig von der Zahl der Beschäftigten gelten, z. B. für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Börsenträger oder Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute.
Aufgabe der internen Meldestellen soll der Betrieb geeigneter Meldekanäle, die Prüfung der Stichhaltigkeit der Meldung und das Ergreifen von Folgemaßnahmen sein. Der im Februar im Bundesrat abgelehnte Entwurf enthielt – anders als zunächst noch der ursprüngliche Regierungsentwurf – die Pflicht, die Meldekanäle so zu gestalten, dass sie die Abgabe anonymer Meldungen ermöglichen. Die Einrichtung solcher anonymen Meldekanäle ist nach der im Vermittlungsausschuss erzielten Einigung gesetzlich nicht mehr vorgeschrieben. Allerdings sollten die internen Meldestellen weiterhin auch anonym eingehende Meldungen bearbeiten.
Die interne Meldestelle soll eingerichtet werden, indem eine beim Beschäftigungsgeber oder der jeweiligen Organisationseinheit beschäftigte Person, eine aus mehreren beschäftigten Personen bestehende Arbeitseinheit oder ein Dritter mit den Aufgaben einer internen Meldestelle betraut wird. Mehrere private Unternehmen mit in der Regel 50 bis 249 Beschäftigten sollen auch eine gemeinsame Meldestelle einrichten und betreiben können. Damit wird die sog. Konzernlösung ermöglicht, nach welcher die interne Meldestelle eines Unternehmens nicht nur beispielsweise an Anwaltskanzleien outgesourct werden kann, sondern auch innerhalb eines Konzerns zentral bei einer Konzerngesellschaft an eine unabhängige und vertrauliche Stelle angesiedelt werden kann.
Die interne Meldestelle soll der hinweisgebenden Person binnen drei Monaten nach der Meldung Rückmeldung über die geplanten sowie bereits ergriffenen Folgemaßnahmen sowie die Gründe für diese geben.
Ursprünglich war kein Vorrang der internen vor der externen Meldestelle vorgesehen. Nach dem im Vermittlungsausschuss erzielten Kompromiss sollten Hinweisgeber aber in den Fällen, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und keine Repressalien zu befürchten sind, eine Meldung an eine interne Meldestelle bevorzugen.
- Eine externe Meldestelle auf Ebene des Bundes soll bei dem Bundesamt für Justiz angesiedelt werden. Diese zentrale Anlaufstelle soll im Sinne eines „one-stop-shop“ fungieren und hinweisgebende Personen davon befreien, sich mit Zuständigkeitsfragen auseinandersetzen zu müssen. Die externe Meldestelle des Bundes soll mit umfassenden Zuständigkeiten ausgestattet sein, soweit nicht die Länder eigene Meldestellen einrichten.
Für Meldungen bestimmter Verstöße (z. B. gegen Rechnungslegungsvorschriften, Vorschriften zur Regelung der Rechte von Aktionären von Aktiengesellschaften oder Vorschriften des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes) ist die BaFin zuständige externe Meldestelle. Daneben fungiert das Bundeskartellamt als zuständige externe Meldestelle für Meldungen von Informationen über Verstöße gegen nationale oder europäische Vorschriften über Wettbewerb.
Ebenso wie die internen Meldestellen sollen die externen Meldestellen Meldekanäle errichten und betreiben, die Stichhaltigkeit einer Meldung prüfen und Folgemaßnahmen ergreifen. Auch im Rahmen dieses behördlichen Meldesystems soll dem Hinweisgeber binnen eines angemessenen Zeitrahmens von maximal drei Monaten (bzw. sechs Monaten in Fällen, in denen die Bearbeitung umfangreich ist) Rückmeldung gegeben werden. Zudem soll die externe Meldestelle der hinweisgebenden Person das Ergebnis der durch die Meldung ausgelösten Untersuchung nach deren Abschluss unverzüglich mitteilen.
Ein Hinweisgeber, der sich mit Informationen über Verstöße an die Öffentlichkeit wendet, soll nur dann Schutz genießen, wenn er entweder eine externe Meldung erstattet und hierauf innerhalb der Fristen für eine Rückmeldung keine geeigneten Folgemaßnahmen ergriffen wurden oder er keine Rückmeldung über das Ergreifen geeigneter Folgemaßnahmen erhalten hat. Ferner genießt ein Hinweisgeber bei Offenlegung von Verstößen Schutz, wenn er hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass der Verstoß wegen eines Notfalls, der Gefahr irreversibler Schäden oder vergleichbarer Umstände eine Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann, Repressalien bei Beschreiten des externen Meldewegs drohen oder etwa Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden könnten.
Schutzmaßnahmen
Um Whistleblower vor Repressalien wie Mobbing, Diskriminierungen oder Kündigungen zu schützen, sind insbesondere die folgenden Schutzmaßnahmen vorgesehen, die bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eingreifen sollen:
- Sofern die hinweisgebende Person hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die Weitergabe der Informationen erforderlich war, um einen Verstoß aufzudecken, soll die Meldung bzw. Offenlegung der Information nicht als Verletzung einer (vertraglich geregelten) Offenlegungsbeschränkung gelten und die hinweisgebende Person rechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können.
- Repressalien gegenüber einem Hinweisgeber (z. B. arbeitsrechtliche Sanktionen wie etwa eine Kündigung) sollen verboten werden. Hier soll eine prozessuale Beweislastumkehr gelten: Erleidet eine hinweisgebende Person nach einer Meldung oder Offenlegung eine Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit, so soll vermutet werden, dass diese Benachteiligung eine verbotene Repressalie ist. Dies soll nach dem Kompromissvorschlag des Vermittlungsausschusses allerdings nur dann gelten, wenn die betroffene Person selbst geltend macht, eine Benachteiligung aufgrund der Offenlegung erlitten zu haben. In diesem Fall soll die Person, die die hinweisgebende Person benachteiligt hat (üblicherweise der Arbeitgeber), ihrerseits beweisen müssen, dass die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte bzw. dass sie nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruhte.
- Bei einem Verstoß gegen das Verbot von Repressalien soll der Verursacher verpflichtet sein, der hinweisgebenden Person den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Anders als nach der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vorgesehen, sollen hinweisgebende Personen keine angemessene Entschädigung in Geld als immateriellen Schadensersatz beanspruchen können. Einen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, eines Berufsausbildungsverhältnisses oder eines anderen Vertragsverhältnisses oder auf einen beruflichen Aufstieg soll ein Verstoß ebenfalls nicht begründen.
Der Schutz von Hinweisgebern soll bestimmten Grenzen unterliegen. So soll beispielsweise nicht geschützt sein, wer keinen hinreichenden Grund zu der Annahme hat, dass der von ihm gemeldete oder offengelegte Sachverhalt der Wahrheit entspricht. Zudem soll die hinweisgebende Person zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, der aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen entstanden ist.
Sanktionen
Verstöße gegen die wesentlichen Vorgaben des Gesetzes sollen als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Dies soll für das Behindern von Meldungen, das Ergreifen von Repressalien und für Verstöße gegen den Schutz der Vertraulichkeit der Identität hinweisgebender Personen (nach dem im Vermittlungsausschuss erzielten Kompromiss sind nun Bußgelder von jeweils bis zu 50.000 Euro statt zuvor 100.000 Euro möglich) sowie das Nichteinrichten und Betreiben einer internen Meldestelle (Bußgeld von bis zu 20.000 Euro möglich) gelten.
Umsetzungsprozess in Deutschland und Praxishinweise
Das Gesetz wird bereits einen Monat nach seiner Verkündung in Kraft treten und nicht – wie ursprünglich vorgesehen – erst drei Monate nach seiner Verkündung. Vor dem Hintergrund des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens ist nach unserer Einschätzung mit einer zeitnahen Verkündung zu rechnen.
Unternehmen müssen sich insbesondere darauf einstellen, dass spätestens einen Monat nach Inkrafttreten des Gesetzes – mithin voraussichtlich bereits ab Mitte Juni – die Pflicht zur Einrichtung und Unterhaltung interner Meldekanäle besteht. Für private Unternehmen mit in der Regel 50 bis zu 249 Beschäftigten sieht das Gesetz jedoch eine Übergangsregelung vor. Für diese Unternehmen soll die Verpflichtung zur Einrichtung von internen Meldestellen erst ab dem 17. Dezember 2023 gelten. Alle anderen Unternehmen sollten spätestens jetzt die in vielen Unternehmen als Bestandteil von Compliance-Systemen bereits bestehenden Meldesysteme überprüfen und bei Bedarf überarbeiten. Um Meldesysteme effektiv und ihrerseits in Übereinstimmung mit den vielfältigen rechtlichen Anforderungen – etwa in arbeits- und datenschutzrechtlicher Hinsicht – zu betreiben, sollten Unternehmen und Konzerne hierfür ausreichend Zeit einplanen.
Über die weitere Entwicklung in Deutschland werden wir Sie auf dieser Seite auf dem Laufenden halten.